Einwand “Die Akkukapazität von Elektrofahrzeugen geht im Laufe der Zeit so stark zurück, dass nach wenigen Jahren nur noch ein geringer Anteil der ursprünglichen Reichweite übrigbleibt”
Da es sich bei den in aktuellen Elektroautos verbauten Akkumulatoren (Batterien) noch um eine recht junge Technologie handelt, sind gegenwärtig noch keine vollends zuverlässigen Aussagen über die langfristige Entwicklung der Akkukapazität von Elektroautos möglich.
Um dennoch möglichst belastbare Erkenntnisse über Entwicklung der Akkukapazität zu erhalten, werden wir im Folgenden die gegenwärtig verfügbaren statistischen Daten zu den beiden wichtigsten Fahrzeugtypen analysieren, zu denen bereits mehrjährige Statistiken vorliegen: 1. zum weltweit meistverkauften Elektroauto, dem seit 2010 erhältlichen Nissan Leaf, und 2. zur Batterietechnik des Autoherstellers Tesla, der mit dem Roadster seit 2008 und dem Model S seit 2012 in diesem Bereich vertreten ist und Ende 2017 mit dem Model 3 ein relativ kostengünstiges Massenmodell auf den Markt bringen will.1
a. Haltbarkeitsverlust durch Zeit
b. Haltbarkeitsverlust durch Fahrleistung
c. Haltbarkeitsverlust aufgrund hoher Temperatur
d. Haltbarkeitsverlust durch Schnellladungen
tldr; — Fazit und Ausblick
a. Haltbarkeitsverlust durch Zeit
“Die Akkukapazität geht selbst ungenutzt im Laufe der Zeit unvermeidlich zurück” — Ja, aber der Verlust spielt kaum eine Rolle.
Sowohl der Nissan Leaf als auch die Elektroautos von Tesla verfügen als Energiespeicher über Lithium-Ionen-Akkus, bei denen das Laden und Entladen durch chemische Prozesse erfolgen. Diese chemischen Prozesse sind unter Idealbedingungen theoretisch zigtausendmal reversibel, so dass die Akkus eine extrem lange Lebensdauer hätten.
In der Praxis führen jedoch zwei wesentliche Faktoren zu Alterungsprozessen und beeinflussen so die tatsächliche Lebensdauer von Batterien: Zum einen können bereits bei der Herstellung von Batteriezellen entstehende kleinste Unregelmäßigkeiten und Verunreinigungen lokal zu schleichenden Abbauprozessen und entsprechenden Kapazitätsverlusten führen. Zum anderen können Faktoren wie eine hohe durchschnittliche Betriebs- bzw. Umgebungstemperatur, eine hohe Luftfeuchtigkeit oder eine hohe Gesamtdauer, die das Fahrzeug mit hohem Ladestatus im Ruhezustand (Parkposition) verbringt, die Alterung der Batteriezellen beschleunigen und so ihre Kapazität und Lebensdauer beeinträchtigen.2

Da sich die Hersteller dieser Umstände jedoch bewusst sind, haben sie durch stetige Verbesserung der Produktionsprozesse, ausgefeiltes Lade- und Entlademanagement sowie entsprechende Kühlung bzw. Vorwärmung der Akkus geeignete Vorkehrungen getroffen, um diesen Effekten entgegenzuwirken, und geben ihren Kunden entsprechende Hinweise an die Hand, was diese tun können, um die Batterie ihres Fahrzeugs vor übermäßigen Kapazitätseinbußen zu bewahren.
Wenn man sich nun die diesbezüglichen statistischen Daten ansieht, ist festzustellen, dass laut einer Studie von 20133 zum Tesla Roadster das Fahrzeugalter keinen statistisch signifikanten Einfluss auf die Entwicklung der Akkukapazität hat. Auch die entsprechende Studie zum Nissan Leaf von Ende 20124 lässt nicht auf rein altersbedingte Kapazitätseinbußen schließen.
b. Haltbarkeitsverlust durch Fahrleistung
“Die Akkukapazität geht abhängig von der Fahrleistung zurück” — Ja, aber die Verluste sind überschaubar.
Sowohl Nissan als auch Tesla bieten für ihr Elektroauto eine umfangreiche Gewährleistung auf den Akku: Nissan für 8 Jahre bzw. 160.000 km5 und Tesla für 8 Jahre bei unbegrenzter Kilometerleistung.6 Bei Nissan greift bis 5 Jahre bzw. 100.000 km auch eine Kapazitätsgarantie, durch die Nissan gewährleistet, dass die Ladestandsanzeige in diesem Zeitraum bei Vollladung mindestens 9 von 12 Balken erreicht. Bei Tesla gilt die Akkugarantie nur für eine “defekte oder nicht ordnungsgemäß funktionierende Batterie” und somit nicht bei einem “graduellen Energie- und Leistungsverlust”.
Bei den Ankündigungen zur Entwicklung der Akkukapazität war Tesla 2006 recht zurückhaltend. Tesla stellte seinen Kunden lediglich 70% Kapazität nach 5 Jahren bzw. 80.000 Kilometern in Aussicht.7 Nissan verkündete 2012, die Batterien des Leaf hätten bei 20.000 km Fahrleistung im Jahr nach 5 Jahren noch 80% Kapazität und nach 10 Jahren noch 70%.8
Sehen wir uns nun die diesbezüglichen Erkenntnisse aus den obengenannten Studien an. Demnach haben die Batterien des Elektro-Sportwagens Tesla Roadster nach 160.000 Kilometern noch 80 bis 85% ihrer ursprünglichen Kapazität.
Das vier Jahre später erschienene Model S weist allerdings noch erheblich bessere Daten auf:9

Aus diesem Schaubild lassen sich folgende Restkapazitäten ablesen:
Somit schneiden die neuesten Akkus von Tesla, die im Model S verbaut werden, deutlich besser ab als die Traktionsbatterien des Roadsters. Zudem zeigt ein Vergleich der verschiedenen Versionen des Model S, dass Tesla seine Batterietechnik zwischen 2012 und 2015 noch weiter verbessern konnte (Restkapazität von 98% statt 94% nach 65.000 km).10
Für das künftige Model 3 feilt Tesla zusammen mit seinem Akkupartner Panasonic in der Gigafactory an ganz neuen Batteriezellen: Anstelle der bisherigen, für Roadster und die Modelle S und X verwendeten Zellen, die einen Durchmesser von 18 mm hatten und 65 mm hoch waren, werden in der Gigafactory neue Zellen mit 21 mm Durchmesser und 70 mm Höhe produziert. Das neue Format sei vollkommen unbeeinflusst durch bestehende Vorbilder allein auf der Grundlage der naturwissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse mit Blick auf eine Optimierung der gewünschten Batterieeigenschaften und der Produktionseffizienz entwickelt worden.11
Eigentlich sehen die Tesla-Batteriezellen im neuen Standardformat 21–70 recht unspektakulär aus:

In diese neuen Batteriezellen fließen aber offenbar bereits die jüngsten Forschungserkenntnisse von Tesla in Bezug auf NMC-Lithium-Ionen-Zellen ein, die nach 1.200 Ladezyklen (was in einem Pkw einer Fahrleistung von rund 480.000 km entspräche) noch 95% ihrer ursprünglichen Kapazität haben sollen.12
Beim Nissan Leaf sind zuverlässige Aussagen wegen der durchschnittlich nur rund halb so hohen Laufleistung schwieriger, aber es ist festzustellen, dass von den 240 im Bericht erfassten Leafs, die bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr als 50.000 km gelaufen waren (durchschnittlich rund 20.000 km), kein einziges Fahrzeug bei in Mitteleuropa üblichen Sommertemperaturen eine Kapazitätseinbuße von mehr als 15% verzeichnete. Nähere Informationen zur Temperaturanfälligkeit der beiden Modelle folgen im nächsten Abschnitt. Aus den aktuelleren Detailangaben der einzelnen Leaf-Fahrer geht jedoch hervor, dass bei einer Laufleistung von mehr als 50.000 km viele Fahrzeuge mindestens 15% und teilweise auch 21% oder gar 28% ihrer ursprünglichen Kapazität eingebüßt haben.
Somit trifft es zu, dass die Kapazität der Batterien von Elektroautos aufgrund der Laufleistung (bzw. der Anzahl der dafür notwendigen Ladezyklen) zurückgeht, jedoch sind die Einbußen zumindest bei den neuesten Teslaakkus mit noch nicht einmal 10% nach 200.000 Kilometern sehr überschaubar. Bei einer durchschnittlichen jährlichen Fahrleistung deutscher Pkw von 14.250 km13 hätte ein solches Elektroauto also nach 14 Jahren noch eine Restreichweite von mindestens 90%.
Beim Nissan Leaf stimmt trotz des Mangels an aussagekräftigen Daten zumindest der Umstand optimistisch, dass die drei Fahrzeuge mit der größten Fahrleistung (56.000–91.000 km) trotz intensivster Nutzung, mehrmals täglicher Vollladung und tiefer Entladung sowie durchschnittlich rund 35 Schnellladevorgängen nicht nur noch alle 12 Ladebalken aufweisen (die Kapazität beträgt also zwischen 85 und 100%), sondern zudem auch die beiden von ihnen, die einem umfassenden Batterietest unterzogen wurden, dabei volle 20 Punkte erreichten (siehe o.g. Studie). Auch im ADAC-Dauertest wusste der Leaf-Akku zu überzeugen, hatte er doch nach 65.000 Kilometern und 1130 Ladevorgängen noch 90 Prozent seiner ursprünglichen Kapazität.14
c. Haltbarkeitsverlust AUFGRUND HOHER Temperatur
Die Akkukapazität geht bei hohen15 Umgebungstemperaturen langfristig stark zurück” — In Mitteleuropa kein Thema.

Bei dieser Frage liefern die beiden obengenannten Studien ganz unterschiedliche Ergebnisse: Während die flüssigkeitsgekühlte Batterie des Tesla offenbar nicht temperaturanfällig ist,16 bauen die luftgekühlten Akkus des Nissan Leaf bei hohen Umgebungstemperaturen augenscheinlich recht stark ab. Allerdings tritt ein statistisch messbarer Effekt erst auf, wenn die durchschnittliche Tageshöchsttemperatur am Wohnsitz des Leaf-Besitzers in einem Kalendermonat über 27 Grad Celsius liegt — was deutschen Autofahrern keine Sorgen bereiten sollte, weil es in Deutschland keinen Ort gibt, an dem die Höchstwerte beispielsweise im sehr warmen Sommer 2015 im Monatsschnitt auch nur annähernd 24 Grad erreichten.17
Beim Tesla sind Temperaturbedenken also nicht angebracht, und beim Nissan Leaf muss man sich trotz der teils bedenklichen Einbußen an den heißesten Orten der USA in Deutschland dank des hier gemäßigteren Klimas diesbezüglich offenkundig ebenfalls keine Gedanken machen.
d. Haltbarkeitsverlust durch Schnellladungen
Die Akkukapazität geht durch viele Schnellladevorgänge stark zurück — Nein.
Der Studie über den Nissan Leaf ist zu entnehmen, dass kein statistischer Zusammenhang zwischen der Zahl der absolvierten Schnellladevorgänge und Kapazitätsverlusten besteht (siehe S. 5 der Studie). Vor diesem Hintergrund zog der Hersteller seine ursprüngliche Empfehlung, den Leaf höchstens einmal am Tag schnell aufzuladen, später zurück.
Der Studienbericht über den Tesla Roadster enthält keine Zahlen zu dieser Frage. Daher kann bereits aufgrund der Tatsache, dass Tesla in den USA über ein recht umfangreiches Netz von intensiv genutzten Supercharge-Stationen verfügt, sowie angesichts der selbst bei großen Laufleistungen von bis zu 200.000 km insgesamt überschaubaren Kapazitätseinbußen von rund 10% davon ausgegangen werden, dass Tesla Mittel und Wege gefunden hat, auch dieses potenzielle Problem gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Diese Annahme wird bestätigt durch neueste Erkenntnisse aus der Befragung von 286 Tesla-Besitzern in aller Welt. Demzufolge ist die häufige Nutzung (täglich bzw. zweimal pro Woche) von Superchargern nicht nur nicht schädlich für die Kapazitätsentwicklung, sondern sie führt sogar dazu, dass die verbleibende Kapazität dieser Akkus in den allermeisten Fällen (100% bzw. 93%) ÜBER dem Durchschnitt liegt.18
tldr; — Fazit und Ausblick
Insgesamt gesehen ist also festzustellen, dass die Entwicklung der Akkukapazität von Elektroautos vor allem von der Laufleistung des Fahrzeugs abhängt, während bei Einhaltung der Empfehlungen zum Umgang mit den Energiespeichern andere Faktoren wie das Alter der Batterie oder die Zahl der Schnellladevorgänge allenfalls eine untergeordnete Rollen spielen. Beim Nissan Leaf ist das allerwichtigste Kriterium jedoch offenbar die Frage, ob die durchschnittliche Höchsttemperatur am häufigsten Aufenthaltsort des Fahrzeugs im Sommer über 27 Grad Celsius liegt, so dass mit spürbaren Kapazitätseinbußen zu rechnen ist. Da in Mitteleuropa solche Werte jedoch nicht erreicht werden, sind deutsche Autofahrer von dieser Frage allerdings nicht betroffen.
Bei den neuesten Akkupacks von Tesla fallen die Kapazitätsverluste mit durchschnittlich knapp 10% nach 200.000 km sehr begrenzt aus, was zu großen Teilen dem guten Lademanagement19 und der effizienten aktiven Temperierung der Batterien zu verdanken sein dürfte. Die Traktionsbatterie des Leaf baut mit Einbußen von bis zu 30% nach 90.000 km offenbar deutlich schneller ab als die von Tesla, Nissan bietet seinen Kunden aber eine Garantie, die vor extremen Einbußen schützt. Außerdem haben Leaf-Kunden die Möglichkeit, einzelne besonders schwache Batteriezellen austauschen zu lassen. So ruft Nissan auch bisweilen Leafs in die Werkstatt, wenn per Ferndiagnose festgestellt wird, dass bestimmte Batteriezellen stark abgebaut haben, und tauscht diese dann auf Garantie aus.20

Beim aktuellen Stand fällt das Fazit also zweigeteilt aus: Während beim Leaf erhebliche Bedenken hinsichtlich der langfristigen Kapazitätsentwicklung angebracht sind, die allenfalls durch die gebotene Garantie gemildert werden, brauchen sich künftige Käufer eines neuen Tesla diesbezüglich offenbar keinerlei Gedanken zu machen.21 Denn wenn man die bisherige Entwicklung im Falle des Tesla fortschreibt, hätte das Model S selbst bei einer Verdoppelung der Verluste auf den zweiten 200.000 km auf insgesamt knapp 30% selbst bei pessimistischen Annahmen (350 km reale Anfangsreichweite, 30% Verlust) nach 400.000 km und durchschnittlich 28 Jahren noch immer eine Reichweite von rund 250 km, was für die überwiegende Mehrheit der Pendler und Alltagszwecke wohl mehr als ausreichend wäre.22 Wenn Tesla seinen Kunden dann noch die Möglichkeit eines Akkutauschs anbietet, könnten sie ihren Modellen der ersten Generation durch Akkupacks der neuesten Generation sogar vollkommen neues Leben einhauchen.23
In der Tat ist angesichts der großen Aufmerksamkeit, die das Thema “Entwicklung der Akkukapazität von Elektroautos” bei der interessierten Öffentlichkeit erhält — für viele Kaufinteressenten ist dies sicher eines der wichtigsten Kaufkriterien -, fest davon auszugehen, dass künftige Batteriengenerationen24 dank intensiver Forschungs- und Entwicklungsbemühungen und der wachsenden Verbreitung von Elektroautos nicht nur eine größere Leistungsdichte bei deutlich niedrigeren Preisen, sondern auch eine nochmals deutlich verbesserte Lebensdauer aufweisen wird.
Wenn Tesla seinen Kunden dann anbietet, gezielt schwache Batteriezellen (auf Garantie) auszutauschen, wären bei einer weiteren stetigen Verbesserung der Technik (vom Roadster zum Model S zu künftigen Generationen) Kapazitätswerte von 90% nach 300.000 oder gar 400.000 km sicher keine Utopie mehr. Spätestens dann müsste sich kein Käufer eines solchen Elektroautos mehr Gedanken über spürbare Kapazitätseinbußen machen.
Weiter zum nächsten Artikel:
- Reichweite
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- Porträt zum Tesla-CEO Elon Musk: Vom Jugendherbergsduscher zum Multimilliardär und Weltretter. Wie er das geschafft hat, lest ihr hier.
Quellen:
Abbildung 1/Titelbild: ©2013 Alan25
Abbildung 2: ©2009 Niall Kennedy26
Abbildung 3: ©2016 pluginamerica.org27
Abbildung 4: ©2009 Nicolás Boullosa28
Abbildung 5: ©2012 NISSAN MOTOR CO., LTD.29
Im Gegensatz zu der hier verbreiteten heile Akkuweltwerbung kann man bereits jetzt schon bei der Suche nach einem gebrauchten E‑PKW oft bej Angeboten lesen,daß die Akkuleistung bereits nachgelassen hat.
Bei Tesla ist die Akkuwelt wohl heil, um bei Deiner Wortwahl zu bleiben.
So haben die Amsterdamer Flughafentaxis nach einem Jahr und 100.000 km alle noch über 95% ihrer anfänglichen Kapazität. Und das obwohl sie am Supercharger vor Ort immer auf 100% aufgeladen werden und auch noch aufgrund der Tatsache dass sie sich immer in der Nähe eines Supercharger befinden und ihr Akku gut planbar auf fast 0% entladen wird, d.h. trotz der lebensdauerfeindlichen Vollladezyklen.
Zumindest mit einem Tesla braucht sich ein Eigentümer keine Sorgen machen. Aber er war auch teuer genug.